„Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später.“ Das soll der österreichische Komponist Gustav Mahler einmal gesagt haben. Nun ist es nicht so, als sei Wien im Herbst 2023 gefangen in der Welt von 1973. Vielmehr erscheint es den Schülerinnen und Schülern der Leistungskurse Geschichte und Politik bei ihrem Besuch in der österreichischen Hauptstadt so, als hätten sie eine Zeitreise in das 19. Jahrhundert angetreten: Frauen und Männer in altbackener Kleidung eilen vorüber, Pferde mit Kutschen klappern durch die Straßen, stolze, ehemalige k. u. k.- Hoflieferanten bieten ihre Schokoladen, Röcke und goldenen Bilderrahmen an. Was jedoch am eindrücklichsten an ferne Zeiten erinnert, sind zweifellos die repräsentativen Prachtbauten im ersten Wiener Bezirk oder Schloss Schönbrunn, das, etwas außerhalb des Stadtkerns gelegen, den ein oder anderen in Kaiserin-Sisi-Nostalgie versetzt.

Sisi und Franz Josef sind ohnehin die buzzwords derfünftägigen Studienfahrt. Wien ohne die beiden, deren Wirken stets in einer Mischung aus Bewunderung und Distanzierung referiert wird, ist allein schon wegen uns Touristen, die nach Hofintrigen, Sisi-Taschentüchern und der Besichtigung der kaiserlichen Gemächer lechzen, sowie der Omnipräsenz höfischer Architektur, undenkbar.

Im historischen Sitzungssaal des Parlamentsgebäudes

Zwar nicht monarchisch, aber traditionsreich und elitär erscheint dann die Welt der Diplomatie, in die uns der ehemalige deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen einführt. Nach diesem Austausch würde man gerne Gustav Mahler entgegentreten und behaupten, dass die Welt so schnell nicht untergeht (ein Umzug nach Wien aber dennoch erwägenswert ist), solange es genügend engagierte und talentierte Diplomaten gibt, die die Welt ein ums andere Mal vom Abgrund zurückholen.

Der dennoch zwischenzeitlich im Gespräch und beim morgendlichen Aufschlagen der Zeitung aufkommende Gedanke der Resignation angesichts der Krisenhaftigkeit der Welt kann in Wien dann auch schnell verdrängt werden. Der Kontrast zwischen Krieg und Krise auf der einen Seite und dem Charakter Wiens auf der anderen ist stark genug. Vielleicht ist diese besonders ausgeprägte Möglichkeit zur Verdrängung, zum Träumen in Sisis Zeiten und selbstverständlich der Prater (den auch unsere Kurse besuchten) ein Grund, weshalb Wien unter den lebenswertesten Städten der Welt rangiert.

Theo Jacob, Leistungskurs Geschichte